Notizen

Ein Nachmittag im August. Ich schob gerade die Ebenen eines Werbebanners in Photoshop zurecht, als mich das Piepen der Waschmaschine endgültig so nervte, dass ich aufstand um die Wäsche aus dem Keller zu holen und in den Garten zu hängen. Auf dem Weg zurück ins Haus hörte ich meine Omi: „Schon wieder am arbeiten? Setz’ dich doch mal her.“ Sie, diese kleine gebeugte, verknöcherte Frau, die ihr Leben lang immer am arbeiten war, saß mal für ein paar Minuten still. Auf einer kleinen Bank im Schatten eines Apfelbaumes in ihrem spätsommerlich schwirrenden Garten, der ihr mittlerweile viel zu groß geworden war.

Ich weiß noch, dass ich wieder an meinen Rechner wollte, setzte mich aber ein paar Minuten zu ihr und erzählte ihr, was ich da am Stubentisch machte. Recht bald hatte sie im Garten etwas entdeckt, das ihr nicht mehr gefiel und stand wieder auf, um weiter zu puzzeln. Das war im Sommer 2001. Im September des gleichen Jahres ist sie dann gestorben - mit 87 Jahren.

Ich denke heute sehr oft an diesen Moment. Und dieses: „Keine Zeit“. Ich hatte wirklich alle Zeit der Welt damals. Ich war selbst noch nicht Mutter und war zufrieden und selbständig als Grafikerin und Webdesignerin unterwegs. Konnte also planen, wie ich wollte. Und ob das Banner nun heute oder morgen beim Kunden sein würde … du meine Güte, wie unwichtig mir das aus heutiger Sicht erscheint.

Was würde ich darum geben, mich noch einmal zu dieser starken Frau zu setzen, die im Krieg auf der Flucht drei Kinder verloren hatte, die dann bei Berlin Haus und Land erstand und allein bewirtschaftete und auch ihren letztgeborenen Sohn - meinen Vater - großteils allein erzogen hat. Ihr Mann verstarb früh und so lebte sie den Großteil ihres Lebens allein - mit uns in einem Haus und eigener Wohnung. Mit festen Ritualen: Früh raus, zunächst die Tiere versorgen, den Garten, und dann irgendwann auch mal sich selbst … Das Leben hatte sie hart gemacht. Sie war ein unruhiger Geist und immer in Bewegung. Stets gab es was zu tun: Bei den Tieren, im Garten, im Haus. Sie stellte ihre Familie, Hof und Habe an die erste Stelle. Dabei hat sie sich eigentlich nie selbst etwas gegönnt aber immer dafür gesorgt, dass wir alles hatten. Als Kind war ich nie allein, denn Omi war immer da - irgendwo im Garten. Was für ein wunderbares Gefühl der Sicherheit!

So sehr wünsche ich es mir heute, noch ganz oft mit ihr zu sitzen und zu reden. Dinge von ihr zu erfahren, von denen ich erst heute weiß, was sie bedeuten. Aber das geht nicht mehr. Und meine Chancen von damals, die hab’ ich verpasst, weil so vieles damals „wichtiger“ war. Einiges war bestimmt wichtig. Vieles jedoch auch sowas von unbedeutend. Heute versuche ich, solche Momente nicht einfach ziehen zu lassen. Denn es liegt an mir, wie und worauf ich meinen Fokus lege und was ich diesbezüglich aus der Zeit mache, die mir im Leben gegeben ist. Wir haben es zu einem großen Teil selbst in der Hand, vergessen oder verdrängen es aber nur zu leicht.

… Was einem morgens so durch den Kopf geht, wenn die Waschmaschine nebenan piepst … Zumindest das hat sich nicht geändert.

Dieser Text erschien auf meiner alten Webseite am 11. September 2018.